Vorwort
Nichts prägte das Dorf Semd mehr als die um 800 als Semida überlieferte „Semmer Besch“. Der Bach war nicht nur die Voraussetzung für die frühe Besiedlung unseres Gebietes, sondern war auch gleichzeitig Namensgeber für den Ort Semd.Innerhalb der Semder Gemarkung befanden sich am Verlauf der Semme ehemals 3 Mahlmühlen.
Obermühle
Geht man von ihrer urkundlichen Erwähnung aus, so war die Obermühle die erste Semder Mühle. Wegen ihrem zeitweiligen Besitzer Tempel, auch für kurze Zeit „Tempelsmühle“ genannt und in verschiedenen Karten aus der entsprechenden Zeit so bezeichnet. Sie lag direkt am Ortsrand Richtung Habitzheim.
Bereits im Jahr 1434 heißt es in einer Urkunde:
„Volprecht Ryteszel (Riedesel) und Anna, seine Hausfrau, bekunden, dass sie dem Ritter Heynriche Graszlocke und Elsen, seiner Hausfrau verkaufen: … zu Semd (Sembde) von der Mühle 3 Schilling Heller und 1 Kapaun. (1)“
Im Jahr 1854 wird dann erstmals die Familie Tempel auf der Obermühle genannt. (3) Heinrich Tempel erhielt sie, nach Recherchen von Pfarrer Walther aus Altheim, als Erbe von seinem Vater Valentin.
Danach sind irgendwann die Besitzverhältnisse an die Familie Ohl übergegangen. Nikolaus Ohl erhielt im Jahr 1923 einen Baubescheid für eine neue Scheune.
Forstmühle
Die zweitälteste Mühle in Semd ist die Forstmühle. Zwar nahe an Altheim liegend, aber schon immer zur Semder Gemarkung gehörend. Erst als Nikolaus Sauerwein im Jahr 1928 ein Gesuch um Eingemeindung in die Gemarkung Altheim stellte, änderte sich dies.
Schon im Jahr 1495 wird ein Hans Zachysen als Müller „uff einer Moll am Forst“ genannt. (6)
Im 30-jährigen Krieg ist, wie so vieles, auch die Forstmühle verfallen. Im Jahr 1686 wurde sie von Peter Tempel, er stammte aus Waschenbach, wieder neu aufgebaut. (5)
Adam Tempel führte mit seiner Ehefrau als letzter Forstmüller die Mühle. Beim Tod der Beiden im Jahr 1905 bzw. 1906 waren deren Kinder noch minderjährig und der Familienbesitz wurde versteigert. Die Mühle ging daraufhin im Jahr 1907 in das Eigentum von Nikolaus Sauerwein aus Schaafheim über. (6) Über 220 Jahre war die Forstmühle im Familienbesitz der Tempels.
Untermühle
Die Untermühle ist die jüngste der drei Semder Mühlen. Nichtsdestotrotz hat sie eine sehr lebhafte Vergangenheit hinter sich.
Nach intensiven und langen Recherchen kann nun von der Erbauung bis heute die Geschichte der Mühle fast vollständig beschrieben werden.
Die Geschichte der Untermühle
Urkundlich taucht die Untermühle erstmals 1687 auf. Johannes Haas aus Richen bat bei den Behörden um Erlaubnis, eine „Mühle oberhalb von Semd“ zu bauen. Da nicht die Rede von einem Wiederaufbau ist, muss es sich wohl um den „Erstbau“ der Untermühle handeln. (7)Die Untermühle auf einer Karte des Großherzogtums Hessen (1823-1850)
blaue Linie
heutiger Verlauf der Semme
rote Linie
Verlauf der Semme 1823
Die Semme floss seinerzeit durch das Mühlengebäude.
Im Jahr 1713 kam es zu Streitigkeiten zwischen dem Untermüller Haas und dem Obermüller Johann Michael Brenner wegen Erhöhung dessen Wehres und der damit verbunden Veränderung des Bachwassers. (8)
Noch nicht einmal 80 Jahre nach dem Bau der Untermühle wurde bereits 1764 eine Untersuchung vom Oberamt Umstadt eingeleitet, die den „üblen Zustand der Haasichen Erb-bestands Mühle zu Semd (Untermühle)“ klären sollte. (9)
Zu dieser Zeit muss schon der Sohn Balthasar Müller auf der Untermühle gewesen sein.
Im Jahr 1783 leitete die „Kurpfälzische Gefällverweserei wegen rückständiger Pacht“ ein Verfahren gegen den damaligen Untermüller Balthasar Haas ein. Es stand offensichtlich in dieser Zeit wirtschaftlich mit der Mühle wirklich nicht zum Besten. (10)
Ein Johannes Güldner kaufte 1788 die Untermühle und zog hierher. (11)
Johannes Güldner, ★ 05.10.1753 in Schlierbach, war Zimmermann und heiratete im Jahr 1773 eine Anna Katharina Schmidt, ★ 01.08.1750, aus Schaafheim. (6) Er versuchte wohl die Mühle wieder auf Vordermann zu bringen. 1798 tauchen die Güldners erstmals urkundlich als Besitzer der Untermühle auf. Ein Eintrag in der damaligen Semder Bürgermeister-Rechnung (Art Haushaltsbuch) lautet:
Johannes Güldner hatte sich aber neben dem Müllerhandwerk anscheinend auch auf „zwielichtige Geschäfte“ eingelassen.
Der berüchtigte Räuber Schinderhannes sagte damals in seinem Verhör in Mainz aus, dass er sich 1802 mehrmals bei dem Müller „Gildner“ in Semd aufgehalten und dort „Geschäfte“ getätigt habe. Die aus Diebstählen links-rheinisch erbeuteten Pferde habe er „auf der Mühl zu Semm“ mit Wissen des Müllers an einen Heinrich Rapp aus Habitzheim verkauft. Beide, der Müller (Gildner) und Rapp, hätten auch gewusst, dass die Pferde gestohlen waren und „der Müller selbst hätte den Rapp rufen lassen“.
Auch die Kumpanen des Schinderhannes gaben bei ihrem Verhör an, dass von ihm die „Mühl zu Semm“ als „Sammelplatz“ nach linksrheinischen Pferdediebstählen angegeben wurde.
Im Jahr 1808 erscheint der Sohn Philipp, ★ 1781, von Johannes Güldner als Müller auf der Untermühle. Philipp war verheiratet mit Anna Maria Mauss, ★ 1780, aus Semd. (12)
Er ersteigerte ein Waldstück „An den drei Brücken“. (13)
1809 gab es wieder einmal, wie schon fast 100 Jahre vorher, Streit mit dem Obermüller wegen der Wasserrechte zu Semd. Diesmal zwischen Philipp Güldner als Untermüller und Konrad Brenner, der inzwischen Müller auf der Obermühle war. (14)
Am 05.12.1818 ist der alte Untermüller Johannes Güldner in Semd verstorben. Seine Ehefrau verstarb bereits 1811. (12)
Sein Sohn Philipp versteigerte 1820 die Untermühle.
Nachdem die Mühle versteigert war, wanderten die Güldners mit dem Ziel Essek (das heutige Osijek in Kroatien), das damals noch zum Königreich Ungarn gehörte, aus. (15)
Im Banat versuchten sie ihr Glück und setzten dort ihre Tätigkeit als Müller fort.
Phillipp Güldner verstarb am 06. 12.1849 in Mramorak. Seine Ehefrau Anna Maria am 02. 01.1854, ebenfalls in Mramorak. (12)
Heute lebt noch ein Nachkomme in Villach, Kärnten/Österreich.
Im Rahmen dieser Versteigerung hat Johann Nikolaus Dieter die Untermühle erworben. Johann Nikolaus Dieter, ★ 14.05.1797 in Reinheim, heiratete im Jahr 1821 eine Anna Margarethe Schneider in Semd. (16)
1825 wird Nikolaus Dieter erstmals urkundlich als Müller zu Semd genannt. (17)
Zu einem schweren Brandschaden auf der Untermühle kam es noch im gleichen Jahr in der Nacht vom 23. auf 24. Juni 1825. (18)
Danach wurde die Untermühle neu gebaut. (19)
Am 31.03.1828 wurde der Untermüller Nikolaus Dieter vom Hofgericht Darmstadt wegen Verwundung, Zeugenbestechung, Betrugs und Verleumdung zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Strafe wurde später auf ein Jahr ermäßigt. (20)
Ob diese Straftat in Zusammenhang mit dem drei Jahre zuvor entstanden Großbrand auf Untermühle stand, müsste noch recherchiert werden.
Im Jahr 1842 kam es zwischen Nikolaus Dieter und der Gemeinde Semd zu Streitigkeit wegen eines Viehtrieb über einen Weg des Dieter und der dabei entstandenen Beschädigung des Mühlengrabendamms. (21)
Aus der Ehe von Nikolaus Dieter und Anna Margarethe, geb. Schneider, ging als einziges Kind die Tochter Anna Katharina, ★ 27.08.1827, hervor. Diese heiratete am 06.07.1851 den Johann Georg Lämmermann, ★ 11.08.1828 in Semd. (16)
So kam dann der Name Lämmermann auf die Untermühle.
Johann Nikolaus Dieter verstarb am 25.02.1875 in Semd. (16)
1915 wird Georg Lämmermann, Sohn des Johann Georg Lämmermann, als Mühlenbesitzer genannt.
Die Untermühle auf einer Postkarte von 1915. Vorne neben dem Hund, mit dem Kind auf dem Schoß ist Georg Lämmermann (Urgroßvater von Isolde, verh. Storck und Heinrich Lämmermann) zu sehen.
Nach Georg Lämmermann übernahm der Sohn Adam (★ 1886 – ✝ 1949) die Untermühle.
Adam Lämmermann etablierte dann eine Gastwirtschaft in der Untermühle. Eine Wirtschaftskonzession erhielt er im Jahr 1925. Zwei Jahre später, 1927, wurde für das vergrößerte Gastzimmer und den neu erbauten Saal eine Konzession erteilt. Der Wirtschaftsbetrieb in der Untermühle war von 1925 (siehe auch die erste Konzessionserteilung) bis ins Jahr 1952.
Heimatforscher Adam Storck 4. schreibt in „Semd und seine Umgebung“ in der Festschrift anlässlich des Gau-Schützenfestes der Schützengesellschaft Semd von 1927:
„Dem Dorfe wieder zugewandt sieht man ein einzelnes Gehöft, die Untermühle. Das Getriebe der Räder und das Geklapper der Mühle ist verstummt und ist dagegen dem Wandersmann hier Gelegenheit geboten sich bei Speise und Trank frisch zu stärken. Die Wirtin versteht es vortrefflich Schinken und Eier zu kredenzen.
Neue Aufbauten nebenan geben das Vorhandensein des neuen Schießstandes der Schützengesellschaft Semd bekannt.“
Die Untermühle um 1930.
Die im Bild rechts zu sehende Scheune wurde 1957 abgerissen und durch die heute noch stehende Scheune ersetzt.
1924 wurde bei der Untermühle ein Schießstand von dem neu gegründeten Semder Schützenverein errichtet und 1927 wurde die Schützenhalle gebaut.
Hierzu zwei Auszüge aus dem Festbuch zum Gau-Schützenfest 1927:
Semder Schützen am Schießstand an der Untermühle um 1938.
vorne knieend: Georg Müller 30. (Heggjirsch), Adolf Ohl (Sattlersch Adolf), Konrad Grötsch (Bayrischs Kunroad)
hinten stehend: Willi Georg (Spießmoanns Willi), Heinrich Linß (Lense Heuner), Alfred Poth (Pouds Alfred), Hans Hassler (Hasslersch Hoans), Fritz Mohrhard (Metzjersch Fritz), Adam Mattheß 4. (Burd), Michael Georg (Bedde Mischel)
In den 1930er Jahren verkaufte Adam Lämmermann das Wasserrecht.
Im Jahr 1936 stellte der Müller Adam Lämmermann V. aber bei den Behörden wieder ein „Gesuch um Erlaubnis zum Betrieb einer Schrotmühle“.(22) Die Mühle ging dann mit dem alten Mahlwerk, nun allerdings von einem Elektromotor angetrieben, als Schrotmühle bis in die 60er Jahre wieder in Betrieb.
Nach Adam Lämmermann V. war dessen Sohn Heinrich (★ 1919 – ✝ 1991) Müller auf der Untermühle.
Heute ist Heinrich Lämmermann jun. (★ 1950 –) Besitzer der Untermühle.
Quellennachweis:
(1) HStAD Best. B 17 Nr. 24
(2) HStAD Best. E 9 Nr. 530 4
(3) HStAD Best. G 15 Dieburg Nr. Y 680
(4) HStAD Best. G 15 Dieburg Nr. N 1737
(5) HStAD Best. E 10 Nr. 1743
(6) Walter, Helmut , Pfarrer von 1963 bis 1977 in Altheim,„Geschichte der Forst- oder Tempel-Mühle zu Spitz-Altheim nebst Stammbaum der Familie Tempel“, in: „Die Kirchen von Altheim und Harpertshausen (…)“
(7) HStAD Best. E 10 Nr. 1761
(8) HStAD Best. E 10 Nr. 2379
(9) HStAD Best. E 10 Nr. 2378
(10) HStAD Best. E 10 Nr. 1776
(11) https://www.gedbas.de/person/show/1450351466 (12) Stammbaum der Familie Güldner; Güldner, Norbert; Villach/Österreich
(13) HStAD Best. E 14 E Nr. 290/12
(14) HStAD Best. E 10 Nr. 2377
(15) HStAD Best. R 21 B Nr. Nachweis
(16) Stammbaum der Familie Dieter; Dieter, Margarete und Manfred, Lützelforstmühle
(17) HStAD Best. G 15 Dieburg Nr. Y 682
(18) https://books.google.com.cu/books?id=Bv9FAAAAcAAJ&printsec=frontcover#v=onepage&q&f=false
(19) Stat.-trop.-hist. Beschreibung Grhz. Hessen
(20) HStAD Best. R 21 D 5 Nr. Nachweis
(21) HStAD Best. G 23 D Nr. 2822
(22) HStAD Best. G 15 Dieburg Nr. V 766
Karlheinz Müller