Ein keltisches Fürstengrab im Semder Wald?

von Karlheinz Müller 03/2025

Die Kelten

Die Bestimmung der allgemein als keltisch geltenden Kulturen wird durch das fast vollständige Fehlen von Schriftzeugnissen aus der Zeit vor Übernahme der lateinischen Sprache und römischen Zivilisation ihrer Siedlungsgebiete erheblich erschwert. (1)

Die Kelten vermieden es vermutlich bewusst, gesellschaftliche, religiöse oder traditionelle Gepflogenheiten schriftlich und zudem auf dauerhaftem Material festzuhalten. Die mündliche Weitergabe von Inhalten scheint einen hohen Stellenwert gehabt zu haben. Die hohe Fertigkeit der Kelten, Kultur und Werte mündlich zu überliefern, sowie die latente Schriftfeindlichkeit der Kelten sind durch mehrere antike Autoren, darunter auch Caesar, belegt. (1)

So erschließen sich Kenntnisse über die frühen keltischen Kulturen hauptsächlich über archäologische Funde und einzelne allgemein gehaltene Berichte griechischer und römischer Chronisten. (1)

Als gesichert kann dagegen gelten, dass die Kelten nie ein geschlossenes Volk bildeten, allenfalls kann von zahlreichen unterschiedlichen ethnischen Gruppen mit ähnlicher Kultur gesprochen werden. (1)

Archäologisch reichte die weiteste Ausbreitung der materiellen keltischen Kultur von Südostengland, Nordspanien und Frankreich im Westen bis nach Westungarn, Slowenien und Nordkroatien im Osten; von Oberitalien im Süden bis zum nördlichen Rand der deutschen Mittelgebirge. (1)

Zahlreiche archäologische Funde in Mitteleuropa vermitteln ein lebendiges Bild der Kultur der antiken Kelten. Die älteren Informationen über die Kultur und Handelsbeziehungen der Kelten stammen aus den überaus reich ausgestatteten Hügelgräbern der späten Hallstatt- und frühen Latènezeit. Daneben sind zahlreiche weitere Funde aus weniger reich ausgestatteten Hügel- oder Flachgräberfeldern und kleineren Siedlungen bekannt. (1)

Spuren der Kelten in Semd und seiner Gemarkung

Vorgeschichtlicher Fund in Semd

Bei Bauarbeiten im Neubaugebiet von Semd stieß Willi Seibert, der in der Hügelstraße in Semd mit dem Ausheben der Fundamentgräben beschäftigt war, in 1,50 Meter Tiefe auf ein Grab aus der jüngeren Eisenzeit, der Latène-Zeit. Über die Landespolizeistation Dieburg wurde der damalige Museumsleiter des Museum Schloss Fechenbach, Walter Boss verständigt. Er legte das Grab und das Skelett frei und barg Schmuckstücke. (2)


Beschriftung:
Semd, im September 1967 beim Ausschachten eines Fundamentgrabens entdeckt
Die Grabgrube hatte eine Größe von 2 m x 0,7 m und war von einer ovalen Steinsetzung eingefasst. Auf der Grubensohle lagen Platten aus Glimmerschiefer. Die Tote lag mit dem Kopf nach Osten und der Grabgrube. Ihr rechter Unterarmknochen mit einem Bronzearmring lag auf einem Quarzitstein in der Höhe des rechten Schienbeines. Der zweite Armring am linken Unterarmknochen lag vor dem Unterkiefer auf der Brust.


Wie Walter Boss seinerzeit mitteilte, handelte es sich bei dem Fund um ein keltisches Grab aus der Zeit zwischen 500 und 200 vor Christus. Das Skelett stammt von einer etwa 1,60 Meter großen Frau, die mit dem Kopf nach Osten bestattet worden war. Neben dem Kopf der Frau fand man einen kleinen Mahlstein als Grabbeigabe. Eingefasst war das Grab mit Steinen, wie sie in Semd nicht vorkommen. Es handelt sich dabei einmal um eine Granitart, zum anderen um Gneis, wie man ihn bei Böllstein findet. Die Steine wurden wahrscheinlich von den Kelten für die Bestattungszwecke in die Semder Senke transportiert. Als besonders wertvoll bezeichnete der Museumsleiter die beiden Armreifen, die bei dem Skelett gefunden wurden. Es handelt sich um Bronzereifen mit verzierten Stempelenden, was auf den keltischen Ursprung hinweist und eine zeitliche Einordnung in die erste Hälfte der jüngeren Eisenzeit ermöglicht. Man nimmt an, dass in der Nähe der Fundstätte noch mehr Gräber im Boden liegen, was wiederum darauf schließen lassen würde, dass hier vor unserer Zeitrechnung eine keltische Siedlung existierte. (2)

Die beiden Armreife sind noch heute im Museum Schloss Fechenbach ausgestellt.

Namenserklärung „Taubensemd“

Auch der Name für die „Taubensemd“ wird auf keltischen Ursprung zurückgeführt.
Überlieferung: 1365 Tauben Semme, 1391 dauben semde
„dauben“ kommt von dem keltischen „dubos“, was dunkel bzw. schwarz bedeutet, oder umgedeutet auf das Beiwort taub „leer“. (3)


Die Hügelgräber am „Semder Weg“

Hügelgräber oder Grabhügel sind runde oder rundliche Erdaufschüttungen unter denen sich Körperbestattungen, Urnengräber oder ausgestreuter Leichenbrand befindet. Die Hügel können niedrig (um 1 m) oder hoch (2 bis ca. 13 m) und außen von kleinen Gräben oder Steinkreisen umgeben sein. Der Durchmesser der Aufschüttung kann von wenigen Metern bis zu mehr als 100 m reichen. Solche Grabhügel können weder zeitlich noch regional eingegrenzt werden. Es gibt sie in Europa regional beinahe durchgängig ab der Steinzeit über die Bronzezeit bis in die Eisenzeit und das Mittelalter.“ (4)
Schon der alte Semder Heimatforscher Adam Storck 4. schrieb in einem Beitrag im Festbuch anlässlich des Gauschützenfestes 1927:
„Im nahen Forstwalde wurde durch Wurzel verwachsene Steinbeile und andere Gebrauchsgegenstände der alten und neuen Steinzeit zum wiederholten Male gefunden. Ebendaselbst finden wir Erdhügel, die die charakteristischen Eigenschaften der Germanischen Gräber zeigen.“ (5)
(Anm.: Wobei hier „germanisch“ durch „keltisch“ zu ersetzen wäre.)




Gut sichtbar ist das Hügelgrab, das unweit „der Maria“ durch den „Semder Weg“ Richtung Mittelforsthof zerschnitten wird.






Querschnitt eines Hügelgrabes




Bei der nebenstehenden Abbildung (Abb.5) wurde über eine topographische Karte des Mittelforstes in der Semder Gemarkung für den Bereich des „Semder Weges“ eine „Schummerungs-Ansicht“ gelegt.

Eine „Schummerung“ ist eine Flächen-tönung, mit der in der Kartografie ein räumlicher Eindruck der relativen Höhenunterschiede des Geländes erzeugt wird. Die Schattierungen entstehen meist durch die Beleuchtung mit einer imaginären Lichtquelle. (6)

In dieser Ansicht wird die bisherige Annahme von rund 30 Hügelgräbern entlang des „Semder Weges“ nicht nur bestätigt, sondern nachgewiesen, dass es sich um mindestens 50 solcher Hügelgräber handelt.



Karl-Heinz Gertloff, Egelsbach, befasst sich seit einigen Jahren mit der Detektion und Visualisierung (Schummerung) bisher unbekannter archäologischer und kulturhistorischer Spuren im Geländerelief mit Hilfe eines sog. Digitalen Geländemodells (DGM).

Auch er ist bei seinen Untersuchungen auf die zahlreichen Hügelgräber am „Semder Weg“ gestoßen und vermutet, dass „es sich hier offensichtlich um eine bedeutende keltische Nekropole handelte“. (7)
Anm.: Mit dem Begriff Nekropole wird in der Archäologie zumeist jeder größere abseits einer antiken bzw. prähistorischen Stadt oder Siedlung gelegene Bestattungsplatz bezeichnet. (8)

Gertloff sind bei den Hügelgräbern auch zwei stark verschliffene ehemalige Großgrabhügel (siehe Kreis-Markierung auf vorheriger Karte) mit ca. 50 m und ca. 65 m Durchmesser aufgefallen. Im Vergleich mit den ehemaligen Großgrabhügeln Glauberg, Heuneburg, Hochdorf und Hohmichele vermutet er demnach, dass es sich bei beiden Großgrabhügeln am „Semder Weg“ ebenfalls um Großgrabhügel mit keltischem Fürstengrab handelt. (7)

Das vermutliche Fürstengrab

„Fürstengrab“ ist ein veralteter archäologischer Begriff, der zumeist einen durch besonders prunkvolle Ausstattung an Grabbeigaben und eine aufwendige Grabanlage hervorgehobenen Bestattungsplatz beschreibt. Verwendung findet die Bezeichnung üblicherweise in Bezug auf keltische Grabstätten. (9)

Zur realen sozialen Stellung der damals Bestatteten – das heißt, ob es sich um „Fürsten“, „Häuptlinge“, „Handelsherren“, „Priester“ handelte – kann heute keine Aussage mehr getroffen werden, jedoch ist durch die herausstechende Bestattungsform eine Hierarchisierung der Gesellschaft deutlich erkennbar. (9)



In Abb.6 zeigt die weiße gewölbte Linie die heute noch vorhandene Erhebung im Wald, die trans-parente gelbe Zeichnung, die vermutliche Dimension des damaligen original Grabhügeld.


Abb. 7: Lage des vermutlichen Fürstengrabes im Mittelforst am „Semder Weg“

Quellennachweise:
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Kelten
(2) Darmstädter-Echo vom Dienstag, 19. September 1967 (eck)
(3) Tischner, Heinrich: Siedlungsnamen zwischen Rhein, Main, Neckar und Itter (www.heinrich-tischner.de)
(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Hügelgrab
(5) Storck 4., Adam: Semd und seine Umgebung, Festbuch Gauschützenfest 1927
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Schummerung
(7) Gertloff, Karl-Heinz, Egelsbach – Vortrag Gruberhof Groß-Umstadt, 19.11.2024
(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Nekropole
(9) https://de.wikipedia.org/wiki/Fürstengrab

Abb. 1: https://vbv-hofheim.de/wp-content/uploads/2022/05/Keltenfuerst-vom-Glauberg.jpeg
Abb. 2: Foto: Müller, Karlheinz, Semd (Ausstellung Museum Schloss Fechenbach)
Abb. 3: Foto: Müller, Karlheinz, Semd
Abb. 4: https://www.zeitreise-gilching.de/ortsgeschichte/bronzezeit/hugelgraber/
Abb. 5: Fotomontage: Müller, Karlheinz, Semd
Abb. 6: Gertloff, Karl-Heinz, Egelsbach – Vortrag Gruberhof Groß-Umstadt, 19.11.2024
Abb. 7: Fotomontage: Müller, Karlheinz, Semd

Karlheinz Müller